Texte, Lyrik, Dramolette

Thomas M. Fiedler

 

 

Wertschätzung entsteht durch Kontakt
 

Margot Landl (Wiener Zeitung)

begleitet das Treffen des Multireligiösen Bezirksforums Josefstadt und Alsergrund

 

 

Wien, am 15. März 2018

 

 

WienerZeitung logo.png

 

·         vom 19.03.2018, 18:08 Uhr, Update: 19.03.2018, 18:14 Uhr

Stadtleben

Printausgabe: 20. 03. 2018

Religion

"Wertschätzung entsteht durch Kontakt

Von Margot Landl

 

·         In den multireligiösen Bezirksforen (MRBF) soll der Dialog zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften ermöglicht werden.

Treffen zum multireligiösen Bezirksforum für den 8. und 9. Bezirk. - © Michael Kimmel

Treffen zum multireligiösen Bezirksforum für den 8. und 9. Bezirk. © Michael Kimmel

Wien. Es ist schon dunkel in der Bezirksvorstehung Alsergrund und Thomas Fiedler ist schon gespannt, wie viele Besucher heute kommen werden. Mehr als 60 neue Vertreter religiöser Vereinigungen hat der Vorsitzende der "Plattform für interreligiöse Begegnung" (PFIRB) zum multireligiösen Bezirksforum des 8. und 9. Bezirks eingeladen. Um niemanden abzuschrecken, findet das Treffen heute nicht wie üblich in einer religiösen Einrichtung statt, sondern auf dem neutralen Boden der Bezirksvorstehung.

https://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_cache/image/1xS2TRCfeMscDUejP4i7n1S6mM5BPtM4IYWEnCy5mraGgCRi0upY306eyQsZsMJLvlByATsaAsHfQ11XszjMwRGOBCSHPtdFij/180319-1811-948-0900-132533-200315grafik2.jpgIm Schatten von 9/11 im Jahr 2002 hatte Erwin Neumann zum ersten Mal die Idee, eine Plattform für den Dialog zwischen den religiösen Gemeinschaften in Wien zu installieren. Angesichts zunehmender Fremdenfeindlichkeit nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sah der evangelische Pfarrer die Notwendigkeit, eine Begegnung zwischen verschiedenen Religionen herzustellen und so Vorurteile abzubauen. Mittlerweile finden in elf Wiener Gemeindebezirken regelmäßig multireligiöse Bezirksforen statt, im 18. Bezirk entsteht gerade ein neues.

 

"Wir warten immer, bis das Interesse wirklich groß ist und bis zumindest zwei große religiöse Einrichtungen ihre Teilnahme zusichern", erklärt Thomas Fiedler, dessen "Plattform für interreligiöse Begegnung" ein Dach für die einzelnen Bezirksforen bildet. Essenziell sei die Unterstützung des Bezirks für ein multireligiöses Bezirksforum, vor allem in finanzieller Hinsicht: "Wenn die Bezirksvertretung das Engagement nicht schätzt, verpuffen die Bemühungen meist schnell wieder. Dabei kostet es wenig und ist sehr viel wert."

Viele Bezirke würden die Einrichtung jedoch positiv sehen, so zum Beispiel die Bezirksvorstehung des 15. Bezirks, wo die Zusammenarbeit wunderbar funktioniere. Dann sind auch größere Veranstaltungen wie das zehnjährige Friedensfest am 5. Mai im Vogelweidpark möglich.

Auch hier im 8. und 9. Bezirk hat das Forum bereits Tradition. Laut Thomas Fiedler sei dieses allerdings ein eher "untypisches", da die Stammgäste hier eine sehr hohe Bildung und ein großes Interesse an einem philosophischen Diskurs hätten. Das zeigt bereits das Thema des Abends: "Was ist der Mensch?" ist die Leitfrage der heutigen Diskussion, die beim letzten Treffen bereits beschlossen wurde.

Bekehrung von Xenophoben
Trotz der vielen verschickten Einladungen sind lediglich zehn Teilnehmer anwesend. Die Hälfte davon gehört einer christlichen Strömung an, dazu kommen noch ein Vertreter des Judentums, zwei islamische Theologen, ein Alsergrunder Bezirksrat, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet, und Thomas Fiedler selbst, der dem Buddhismus angehört. Es wird diskutiert, ob der Mensch ein Bild Gottes ist, eines sein soll und was Evolution und Kultur damit zu tun haben, ob die Natur des Menschen gut oder schlecht ist und warum Gott nicht eingreift, wenn Böses auf der Welt passiert. Die Diskussion ist respektvoll, niemand unterbricht, jeder akzeptiert die Ansichten der anderen. Ob sich also hier nicht nur Menschen treffen, die ohnehin Verständnis für Fremdes aufbringen können? "Menschen, die sehr fundamentalistisch denken und bedingungslos ihre Schiene fahren, die können wir nicht erreichen. Sehr wohl aber jene, die unschlüssig sind", erklärt Thomas Fiedler. Einmal habe ihn ein Mann als Reaktion auf eine Postwurfsendung angerufen und zwanzig Minuten über die Ausländer in seinem Viertel geschimpft. Daraufhin habe er ihn zur nächsten Veranstaltung eingeladen, wo er tatsächlich erschienen sei und sich an der Diskussion beteiligt habe.
 

Polizei beteiligt sich
"Wenn wir bei jeder Aktion einen dazu bringen, seine Sichtweise zu ändern, haben wir in 500 Jahren eine friedliche Welt." Generell seien die multireligiösen Bezirksforen in allen Bezirken völlig unterschiedlich, so Thomas Fiedler. "Es erstaunt mich immer wieder, dass in so einer vernetzten Welt Bezirksgrenzen so stark sind." Je nachdem, wo das Bezirksforum stattfindet, beteiligen sich unterschiedliche religiöse Gemeinschaften. Mitglied der Pfirb sind die in Österreich anerkannten Religions- und Bekenntnisgemeinschaften Bahá’i, Buddhismus, Hinduismus, Judentum, römisch-katholisches und evangelisches Christentum sowie schiitischer, sunnitischer und sufistischer Islam, doch auch Vertreter anderer Gemeinschaften oder anderer Organisationen sind willkommen.

Immer wieder besuchen Mitarbeiter, die im Bereich Polizei, Gewaltprävention oder Jugend arbeiten, die Veranstaltungen - je nachdem, was auf der Tagesordnung steht. "Die Themen reichen von Fundamentalismus über philosophischere Fragen wie an diesem Abend bis zu Partnerschaft und Sex", erklärt Thomas Fiedler. Doch auch bei kontroverseren Themen und Teilnehmern sei es noch nie zu einem Konflikt gekommen. "Ich glaube, alle wollen sich nach außen hin als Gemeinschaft präsentieren."

Seit den Anfängen der Organisation, bei denen auch er schon dabei war, hat sich das Publikum verändert: "Es kommt eine junge Generation an Muslimen nach, die alle hochgebildet und gleichzeitig in ihren Communities verankert sind." Es seien aber auch viele Leute verloren gegangen. "Aufgrund der permanenten Islamkritik ist bei vielen die Motivation gesunken, hinauszugehen und sich zu beteiligen. Vor allem, wenn sie schlechte Deutschkenntnisse haben."

Zu resignieren ist für den 59-Jährigen trotzdem keine Option. Zu Weihnachten zum Beispiel hat die muslimische Jugend in einer pakistanischen Moschee eine Weihnachtsfeier für einen benachbarten Frauenorden organisiert. "Es sind diese kleinen Dinge, die man schätzen und weitererzählen muss."

www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtleben/953690_Wertschaetzung-entsteht-durch-Kontakt.html

TEXT als PDF (download):

"Wertschätzung entsteht durch Kontakt"

 

Zur Anzeige ist ADOBE READER erforderlich:
Download ADOBE READER (kostenlos)

 

© T.M.FIEDLER 2018

Zurück